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25.02.2022

ÖNORMEN: Zwischen Empfehlungen und Gesetzen

Wer Projekte am neuesten Stand der Technik und Wissenschaft umsetzen will, kommt nicht am Thema ÖNORMEN vorbei. Sie sind die Basis für die tägliche Arbeit der Ingenieurbüros. Als Mitglied des Fachverbands der Ingenieurbüros erhalten Sie einen vergünstigten Normenzugang. Nutzen Sie diese Möglichkeit, denn welche rechtlichen Konsequenzen bei Nichteinhaltung der Normen drohen, schildert Lukas Andrieu, Partner bei der Anwaltskanzlei Scherbaum Seebacher, im Interview. Welche Rolle dabei Berufshaftpflichtversicherungen spielen, erklärt Versicherungsexperte Peter Artmann, Managing Director bei Aon Jauch & Hübener GmbH Österreich.

Vorsicht vor Schadenersatzansprüchen bei Personenschäden

Im Interview: Lukas Andrieu, Partner bei der Anwaltskanzlei Scherbaum Seebacher

© cstrobl

Herr Andrieu, sind ÖNORMEN mit Gesetzen gleichzusetzen?

Lukas Andrieu: ÖNORMEN haben zwar eine herausragende Bedeutung - unter anderem auch für Ingenieurbüros - grundsätzlich kann man sie jedoch nicht mit dem Gesetz gleichsetzen. Allerdings kann technischen Normen Gesetzeskraft zuerkannt werden, zum Beispiel durch Gesetze oder Verordnungen. Ansonsten kann man sie als Regeln bzw. Leitlinien für verschiedenste Tätigkeiten oder Produkte verstehen, welche auf gesicherten Ergebnissen des jeweiligen Fachgebietes beruhen.

Welche Beispiele gibt es dafür?

Als Faustregel kann mal als Praktiker davon ausgehen, dass eine ÖNORM dann verbindlich ist, wenn sie in einem Gesetz, einer Verordnung oder einem Bescheid genannt ist. Das ist zum Beispiel häufig bei Brandschutznormen der Fall. Normen können aber auch zwischen Geschäftspartnern vertraglich als "verbindlich" fixiert werden. Die Nichteinhaltung wäre dann eine Vertragsverletzung.

Sie haben jetzt von technischen ÖNORMEN gesprochen - welche gibt es denn noch?

Grundsätzlich unterscheidet man zwischen technischen und rechtlichen ÖNORMEN. Rechtliche ÖNORMEN sind im Wesentlichen vorformulierte Vertragsbedingungen, die das Normungsinstitut entwickelt hat. Sie sollen einen fairen und praktikablen Interessensausgleich zwischen den Vertragspartnern herstellen. Werden Verträge abgeschlossen, in denen es um technische Leistungen geht, dann können diese rechtlichen ÖNORMEN zum Vertragsinhalt gemacht werden. Das ist ähnlich, wie man es von den allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) kennt.

Gelten diese rechtlichen ÖNORMEN immer?

Nein, es ist notwendig, dass diese ausdrücklich dem Vertrag zugrunde gelegt werden. Diese rechtlichen ÖNORMEN können sehr umfassend sein und viele unterschiedliche Regelungen betreffen. Das bedeutet, selbst wenn der Vertrag sehr kurz ist und man sich auf eine solche vertragliche ÖNORM einigt, dann liegen dem konkreten Auftrag sehr umfassende Regelungen zugrunde.

Welche Rolle spielen nun technische ÖNORMEN für Ingenieurbüros?

Bei einem Projekt macht sich ein Ingenieurbüro mit dem Auftraggeber aus, was vertraglich geschuldet wird und wie eine Leistung zu erbringen ist. Es gilt der Grundsatz, dass der Auftragnehmer die allgemein anerkannten Regeln der Technik einhalten muss. Die Bedeutung der ÖNORMEN rührt daher, dass in den meisten Fällen diese allgemeinen anerkannten Regeln der Technik - also das, was gewöhnlich zwischen Vertragspartnern vorausgesetzt wird - sich in den technischen ÖNORMEN widerspiegeln.

Ist das immer der Fall?

Die allgemein anerkannten Regeln der Technik sind nicht immer mit den ÖNORMEN gleichzusetzen, sie können unter Umständen sogar darüber hinaus gehen. Das hängt vom Stand der Normung ab. Man kann als Ingenieurbüro aber davon ausgehen, dass man als Auftragnehmer die technischen Normen einhalten sollte, da ansonsten auch häufig ein Verstoß gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik vorliegt. Werden anwendbare ÖNORMEN nicht eingehalten, werden Verträge nicht ordnungsgemäß erfüllt und man muss für den daraus resultierenden Schaden einstehen.

Also müssen ÖNORMEN immer eingehalten werden?

Ich kann mir mit meinem Vertragspartner grundsätzlich im Detail ausmachen, welche Normen einzuhalten sind und welche nicht. In den meisten Fällen wird das aber nicht gemacht. Oft steht bei den Vertragsbestandteilen dabei, dass der Auftragnehmer die allgemein anerkannten Regeln der Technik einhalten muss. Selbst wenn es dort nicht so ausdrücklich steht, wird das in der Rechtsprechung erwartet, also vorausgesetzt. Und nachdem sich diese allgemein anerkannten Regeln der Technik in der Praxis in den allermeisten Fällen mit den Normen decken, ergibt sich, dass man regelmäßig einen Vertragsbruch eingeht, wenn man ÖNORMEN nicht einhält. Als Praxisregel muss man daher sagen: Die genaue Kenntnis und Einhaltung der Normen ist essentiell, da man sich ansonsten einer enormen Haftungsgefahr aussetzt.

Gibt es Beispiele, in denen ÖNORMEN nicht eingehalten wurden und dies zu rechtlichen Konsequenzen führte?

Dafür gibt es zahlreiche Beispiele, da in nahezu jeder bau- oder technologiebezogenen Rechtsstreitigkeit die Einhaltung der ÖNORMEN ein ganz wesentlicher Bestandteil ist und meist der Kern der Frage ist, ob ein Ingenieurbüro für eine Fehlleistung oder einen Schaden, der entstanden ist, auch haftbar gemacht werden kann oder nicht.

Wer beurteilt, ob eine ÖNORM eingehalten wurde oder nicht?

Dabei kommt den vom Gericht bestellten Sachverständigen eine besondere Bedeutung zu. Sie legen in ihrem Gutachten dar, wie sich die Normenlage darstellt, ob diese Normen den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen oder nicht. Die Leistung des Ingenieurs wird anhand dieser Normen beurteilt. Werden diese nicht eingehalten, werden Ingenieure regelmäßig auch rechtlich zur Verantwortung gezogen.

Die Umsetzung mancher Projekte erstreckt sich über Monate oder Jahre. Inwiefern müssen solche Projekte an technische Entwicklungen und Normänderungen angepasst werden?

Zu dieser Frage hat es schon viele Streitigkeiten gegeben. Dabei gehen auch die Meinungen der Juristen auseinander. Deshalb möchte ich dies mit einem Tipp beantworten: Legen Sie diese Frage immer ausdrücklich gleich zu Beginn des Projekts im Vertrag fest! Dann gibt es keinen Interpretationsspielraum.

Welche rechtlichen Konsequenzen drohen, wenn ÖNORMEN nicht eingehalten werden?

Das ist abhängig davon, was passiert ist. Es ist zunächst möglich, dass man gewährleistungspflichtig wird. Häufiger im Zusammenhang mit beratenden Ingenieurbüros ist es so, dass sich aus der Nichteinhaltung technischer Normen ein Schaden für den Auftraggeber ergibt und dieser Schadenersatzansprüche stellt. Vor allem dann, wenn es um Personenschäden geht und die Ermittlungen ergeben, dass der Ingenieur mit technischen Normen fahrlässig umgegangen ist, dann kann dies im schlimmsten Fall auch zu einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit führen.

Kommen Freiheitsstrafen oft vor?

In den meisten Fällen geht es um Sachschäden und deshalb "nur" um Geld - aber vor allem bei Ingenieuren kann es dabei auch um sehr viel Geld gehen. Der Schaden, der dem Auftraggeber durch die Nichteinhaltung der Normen entstanden ist, kann das Honorar des Ingenieurbüros um ein Vielfaches übersteigen und somit auch existenzbedrohend sein. Das erleben wir leider häufig. Deshalb ist es wichtig, die Normen genau zu kennen und zu beachten - aber Fehler können immer passieren und in diesen Fällen ist es wichtig, sich durch eine Haftpflichtversicherung abzusichern, die im Worst-Case für so einen Schaden einsteht.

Welchen Tipp würden Sie Ingenieurbüros mit auf den Weg geben?

Informieren Sie sich laufend über die technischen Normen des eigenen Leistungsgebietes! Überhasten Sie den Vertragsabschluss nicht, sondern überlegen Sie sich, welche Pflichten und Verbindlichkeiten Sie eingehen möchten und können! Nicht jede Vertragsbestimmung soll vorbehaltlos hingenommen werden. Außerdem ist der Abschluss einer ausreichenden und umfangreichen Haftpflichtversicherung und allenfalls auch einer Rechtschutzversicherung in Streitfällen sehr hilfreich.

Werden Vorschriften nicht eingehalten, hilft auch keine Berufshaftpflichtversicherung

Im Interview: Peter Artmann, Managing Director bei Aon Jauch & Hübener GmbH Österreich

© Artmann

Herr Artmann, welche Haftungsrisiken gehen Ingenieurbüros ein, wenn sie sich nicht an Gesetze, Verordnungen oder behördliche Vorschriften halten?

Peter Artmann: Die Berufshaftpflichtversicherung für Ihr Ingenieurbüro erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen infolge bewussten Zuwiderhandelns gegen für seine berufliche Tätigkeiten geltende Gesetze, Verordnungen oder behördliche Vorschriften. Daher ist hier besondere Vorsicht geboten und Beratung durch einen Anwalt Ihres Vertrauens vor dem Projektstart empfehlenswert.

Welche Risiken werden bei der Berufshaftpflichtversicherung abgedeckt?

Es ist sehr wichtig, dass bei einem ausführlichen Beratungsgespräch Ihr Berufshaftpflichtversicherungsvertrag individuell auf Ihr Ingenieurbüro angepasst wird. Es macht einen großen Unterschied, ob jemand z. B. als Landschaftsplaner in Österreich tätig ist oder Maschinen plant, die in die ganze Welt exportiert werden. Keine Versicherung ohne Kenntnis des Risikos! 

Welche Grenzen gibt es in einem Berufshaftpflichtversicherungsvertrag für Ingenieurbüros?

Die Versicherungssumme, der Selbstbehalt, der örtliche Geltungsbereich, die Nachdeckung und die Anpassung/Neutralisierung etwaiger Ausschlüsse in den Versicherungsbedingungen sind die wichtigsten Punkte für die optimale Gestaltung eines Berufshaftpflichtversicherungsvertrages. Nehmen Sie sich wirklich Zeit für die Konzeption Ihres Versicherungsvertrages mit Ihrem Berater und bedenken Sie, dass nicht alle Vorgaben des Auftraggebers erfüllbar sind.

Mit welchen Kosten muss man bei einer Berufshaftpflichtversicherung rechnen?

Als Faustregel kann man sagen, dass ein Ingenieurbüro bei Unternehmensgründung pro Jahr mit rund 1.000 bis 1.500 Euro Prämie kalkulieren sollte.

Können Projekte einzeln versichert werden?

Spezielle Projekte können in einem eigenen Berufshaftpflichtversicherungsvertrag abgedeckt werden. In diesem Vertrag können die Vorgaben des Auftraggebers und die speziellen Herausforderungen eines einzelnen Projektes genau berücksichtigt werden. Wichtig ist, dass Sie die Kosten für diese Projektversicherung entsprechend berücksichtigen. Gute Beratung und genügend Zeit für die Gestaltung des Vertrages sind daher sehr wichtig.

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